Das System der Zwangsarbeit in der SED-Diktatur

 

Gestern wurde in den Räumen der Deutschen Gesellschaft Berlin eine soeben im
Universitätsverlag Leipzig erschienene Studie von Dr. Christian Sachse über die
Zwangsarbeit von politischen Häftlingen in der DDR vorgestellt.
Dieses bittere Kapitel war fast ein Vierteljahrhundert kein Thema in Deutschland. Erst
als durch journalistische Recherchen bekannt wurde, dass der schwedische Konzern
IKEA von der Zwangsarbeit politischer Gefangener in den sozialistischen Ländern, noch
bis vor kurzem in Cuba, profitiert hat, entstand eine breitere öffentliche Diskussion.
Selbst wenn der Hauptgrund für die Debatte gewesen sein sollte, wie der Bürgerrechtler
Arnold Vaatz in seinem Geleitwort grimmig feststellte, dass „in Gestalt von IKEA die
Katalysatoren der westdeutschen Empörungsindustrie von der ostdeutschen
Zwangsarbeit profitierten“, hatte das doch den Kollateraleffekt, dass es endlich ein
Interesse am Thema gab. Dementsprechend waren viele Medien bei der Präsentation
zugegen.
Selbst die Politik war prominent vertreten, mit der Ostbeauftragten der
Bundesregierung Ines Gleicke (SPD) an der Spitze.
Christian Sachses Vortrag ließ schon erkennen, dass der Autor ein Standardwerk zum
Thema vorgelegt hat. Seine Studie ist ebenso gründlich, wie umsichtig. Sachse nimmt
sich auch der kompliziertesten Fragen, wie die, ob man Zwangsarbeit im Sozialismus
auch so nennen dürfe, wo dieser Begriff doch auf die „Vernichtung durch Arbeit“ im
Nationalsozialismus angewendet wird.
Sachse begnügt sich nicht mit dem Hinweis, dass die Zwangsarbeit seit dem Gulag im
Kommunismus System war. Er liefert einen kurzen Abriss der Zwangsarbeit im 20.
Jahrhundert und ordnet darin ein, was in der DDR stattgefunden hat.
Zwar gab es im SED-Staat keinen Gulag, aber mindestens 600 Betriebe waren
Bestandteil eines Systems, in dem Zwangsarbeit von Häftlingen eine Planungsgröße war.
Die beteiligten Unternehmen gerieten regelmäßig in Schwierigkeiten, wenn es eine
Amnestie gab und ihre billigen Arbeitskräfte ausfielen. Sachse führte Statistiken vor, die
zeigten, wie schnell die entstandenen Häftlingslücken wieder aufgefüllt wurden, obwohl
die „Rückfallquote“ bei Politischen unterdurchschnittlich war. Es gab, das ist die einzige
Erklärung, eben entsprechend viele Neuverhaftungen.
Zwangsarbeit war ein fester Bestandteil des Strafsystems, mit dem Ziel, die
Widerstandsfähigkeit der Häftlinge zu brechen.
Die Arbeitsbedingungen für Häftlinge waren besonders schlecht, die Zahl der
Arbeitsunfälle lag dreimal höher als bei freien Arbeitern.
Firmen wie IKEA ließ das nicht ganz kalt. Sachse verweist auf ein Beispiel, dass der
schwedische Konzern einen Automaten in einem DDR-Betrieb aufstellen ließ, um
Gefangenen die gefährliche, giftige Handarbeit zu ersparen.
Andere schauten lieber nicht so genau hin. Berichte von freigekauften Häftlingen über
Zwangsarbeit für westdeutsche Firmen wie Quelle, Salamander, Neckermann, Schiesser,
Beiersdorf, Underberg, Varta, Thyssen und Siemens, um nur einige zu nennen, wurden
von der westdeutschen Öffentlichkeit und den betroffenen Unternehmen weitgehend
ignoriert.
Für die Zwangsarbeit ist in erster Linie die SED verantwortlich, aber die beteiligten
Firmen haben zumindest eine moralische Mitschuld.
Der SED-Staat profitierte von der Arbeit seiner politischen Gefangenen. Die
eingezogenen Sozialabgaben wurden zweckentfremdet. Sachse belegt, dass von den
1986 rund 20 Millionen zurückbehaltenen Sozialabgaben nur 3,3 Millionen für
medizinische Behandlung und soziale Leistungen den Häftlingen zugute kam.
Arbeitslohn bekamen die Häftlinge nicht ausgezahlt. Sie erhielten „Wertgutscheine“, mit
denen sie im Gefängnisladen ihre schmalen Rationen aufbessern oder sich
Körperpflegemittel kaufen konnten.
Wenn man, wie eine Zeitzeugin berichtete, für tägliche 10-Stundenschichten mit 120%
Normerfüllung für 70 Mark Wertgutscheine im Monat erhielt, reichte das für eine
tägliche Tasse Bohnenkaffee, Zahnpaste und Hautcreme, mehr nicht.
Die gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen, sowie die mangelnde, bzw. oft
verweigerte medizinische Betreuung haben bei den betroffenen Häftlingen dauerhafte
Spuren hinterlassen.
Das schlimmste Unterkapitel dieses Themas ist die Zwangsarbeit von Jugendlichen aus
den Jugendwerkhöfen. Etwa 3000 – 4000 Jugendliche sollen davon betroffen sein. Eine
Zahl, die ich für viel zu niedrig halte. Allein die im Stahl- und Walzwerk Brandenburg
beschäftigten Jugendlichen aus dem geschlossenen Jugendwerkhof Lehnin dürften es im
Laufe der Jahre auf diese Zahl gebracht haben.
Deshalb wurde die Ankündigung von Staatssekretärin Gleicke, eine Studie über
Zwangsarbeit in Jugendwerkhöfen in Auftrag zu geben, mit viel Beifall begrüßt.
Damit hat Gleicke verdienstvollerweise ein heißes Eisen angepackt. Diese Studie wird
dazu beitragen, eine weitere Lücke zu füllen.
Weil den Betroffenen mit Studien allein nicht geholfen ist, regte Rainer Wagner, der
Vorsitzende der UOKG, die auch die Studie von Sachse beauftragt hatte, einen Runden
Tisch an, an dem Politik, Unternehmen und Betroffene schnelle Lösungen finden sollen,
wie den ehemaligen Zwangsarbeitern des SED-Staates , die heute noch unter den Folgen
leiden, schnell und unbürokratisch geholfen werden kann.
Dieser Runde Tisch muss zustande kommen!
 

Verharmlosung von Zwangsarbeit- nein, danke!


Was haben wir denn an denen verlorn:
An diesen deutschen Professorn
Die wirklich manches besser wüssten
Wenn sie nicht täglich fressen müßten
Beim Lesen von Richard Schröders Philippika gegen die Aufdeckung von Zwangsarbeit
von politischen Gefangenen in der DDR ist mir dieses Lied von Wolf Biermann in den
Sinn gekommen. Nicht, dass es bei Professor Schröder ums Fressen ginge, dazu ist er ,
im Gegensatz zu den meisten politischen Gefangenen der DDR, über die er herzieht, zu
gut mit einer fetten Pension versorgt. Er scheint eher das Problem zu haben, dass ihm
nicht die Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, die ihm seiner Meinung nach zusteht.
Da hilft ein Artikel mit dem neckischen Titel »Häftlingsarbeit in der DDR- warum
nicht?«, um mal wieder beachtet zu werden.
Dass er dabei gegen Menschen zu Felde zieht, die immer noch an den erheblichen
Folgeschäden ihrer Haft und der Sklavenarbeit, die sie leisten mussten, leiden, ist für
den Träger des Preises für das „unerschrockene Wort“ kein Hindernis. Unser Professor
schreckt nicht davor zurück, die Tatsachen zu verdrehen, um seine Thesen zu stützen.
Auch nicht vor ein bisschen Demagogie und Zynismus, um seinem Elaborat den nötigen
Schwung zu geben.
Leider ist Professor Schröder Mitglied des Beirates der BStU und stellvertretender
Vorsitzender des Beirats von „Gegen Vergessen- für Demokratie“ und im Vorstand der
Deutschen Gesellschaft, in deren Räumen verdienstvollerweise die Studie von Dr.
Christian Sachse über die Zwangsarbeit im SED-Staat präsentiert wurde.
Deshalb muss man ihm widersprechen.
Schröder stellt am Beginn klar, was für ihn Zwangsarbeit ist:
„Das Unrecht kann in der Tatsache des Zwangs selbst bestehen oder (zusätzlich) in
skandalösen Arbeitsbedingungen oder in vorenthaltenem Lohn.“
Alle drei Kriterien treffen auf die Zwangsarbeit von Politischen in der DDR zu.
Deshalb ist Schröders Gleichsetzung von Politischen mit Strafgefangenen so infam.
Damit diffamiert er alle Menschen, die dafür verurteilt wurden, weil sie die
demokratischen Rechte in Anspruch nehmen wollten, zu denen sich die DDR im
Helsinki-Abkommen verpflichtet hat. Außerdem stützt er damit die These der DDRMachthaber,
es hätte in der DDR keine Politischen gegeben, sondern nur Kriminelle.
Und die müssen schließlich überall arbeiten.
Verschärft wird das mit Schröders Beispiel der Bautzener Häftlingstischlerei, die heute
per Internet ihre Produkte anbietet. Die Arbeitsbedingungen dieser Häftlinge
entsprechen ganz sicher den geltenden Arbeitsschutzbestimmungen, was in der DDR
nicht der Fall war, denn die Arbeitsunfälle von Häftlingen betrugen dort das Dreifache
der zivilen Arbeiter.
In der DDR wäre den Häftlingen sogar prozentual vom Lohn mehr ausgezahlt worden,
als den Häftlingen heute. Aber ist es nicht so, dass heute ein Teil des Lohnes auf einem
Konto angespart wird, so dass der Häftling am Tag seiner Entlassung ein Startkapital
hat? Die Häftlinge von heute genießen Sozialleistungen und eine Gesundheitsbetreuung,
von der DDR- Häftlinge nicht mal träumen konnten!
Dass die Arbeitsbedingungen hart gewesen sein müssen, räumt Schröder immerhin ein,
um gleich darauf auch das zu relativieren. Wenn nach einer Amnestie Häftlinge durch
vietnamesische Vertragsarbeiter ersetzt wurden, kann ja alles nicht so schlimm gewesen
sein. Schröder kann sich diesen Verweis nur erlauben, weil das bittere Kapitel, wie die
DDR mit ihren Vertragsarbeitern, speziell den vietnamesischen, umgesprungen ist, noch
unbearbeitet ist. Wenn diese Beispiel etwas zeigt, dann, dass den Vietnamesen
Arbeitsbedingungen zugemutet wurden, die denen von Häftlingen entsprachen.
Die Vietnamesen konnten sich nicht mal beschweren, denn dann drohte die
Abschiebung in die Heimat mit ihren noch schlimmeren Arbeitslagern.
Mehr als gewagt ist Schröders Hinweis, dass die Arbeit doch geeignet war, den
berüchtigten Massenzellen mit Vierstockbetten zu entkommen. Die Andeutung weiterer
unsäglicher Haftumstände, die der Professor mit wissenschaftlicher Gründlichkeit
vornimmt, wäre verdienstvoll, würde sie nicht als Mittel für die Verharmlosung der
Zwangsarbeit genutzt.
Ebenso räumt Schröder ein, dass die Politischen zu Unrecht verurteilt worden waren.
Aber dann war auch die Zwangsarbeit, der sie unterworfen wurden, Unrecht und nicht
„normal“ wie das Tragen von Gefängniskleidung und das Gefängnisessen, wie Schröder
meint.
Einen längern Abschnitt widmet Schröder den westdeutschen Unternehmen, die seiner
Meinung nach nicht wissen konnten, dass sie von der DDR Produkte aus Häftlingsarbeit
bezogen.
Wenn der schwedische Konzern IKEA in der Lage war, das zu erkennen und sogar einen
Automat zur Verfügung gestellt hat, um Häftlingen giftige und gefährliche Handarbeit zu
ersparen, warum waren deutsche Unternehmen da ignorant? Etwa weil sie traditionell
darauf konditioniert sind, bei Zwangsarbeit nicht so genau hinzuschauen?
Schröders Argument, wenn Politische für Zwangsarbeit entschädigt würden, müssten
auch die Kriminellen entschädigt werden, ist haltlos. Niemand hat die Entschädigung
von Kriminellen gefordert. Es handelt sich wieder um eine diskriminierende
Gleichstellung von Politischen und Kriminellen.
Zu den abschließenden Betrachtungen Schröders über die wohltuende Wirkung des
innerdeutschen Handels, besonders für die Kirchen, von denen er als Dozent für
Philosophie am Sprachenkonvikt profitiert hat, nur so viel: Nicht der innerdeutsche
Handel oder die Entspannungspolitik haben die deutsche Vereinigung hervorgebracht,
sondern das waren, es sei den Schröders zum 25. Jahrestag des Mauerfalls ins
Stammbuch geschrieben, die Demonstranten auf den Straßen der DDR.
Kein Entspannungspolitiker hat auf die Vereinigung hingearbeitet. Nie hat Honecker so
viele Staatsgäste aus dem Westen empfangen, wie im letzten halben Jahr vor seinem
Sturz. Die Republikflüchtlinge und Ausreiser haben den Staat delegitimiert und damit
einen unschätzbaren Beitrag zum Gelingen der Friedlichen Revolution geleistet.
Schröder heroisiert diejenigen, die in der DDR geblieben sind, obwohl sie das System
ablehnten.
Mit Reisepass für Westtrips, einen Teil des Gehalts in Westgeld und im geschützten
kirchlichen Raum ließ es sich in de DDR unbehelligt leben. Besonders heroisch oder
preiswürdig war das allerdings nicht.
Aber es gehört zu den Ungereimtheiten im vereinten Deutschland, dass weniger
diejenigen geehrt werden, die unter den Bedingungen der Diktatur viel riskiert haben
und die Sanktionen dafür einstecken mussten, sondern deutsche Professoren, die
unbeschadet und ausgeschlafen von ihren Schreibtischen aus tätig waren und sind.


Vera Lengsfeld
Im Juni 2014