Fidelio im Zuchthaus Cottbus


Es war eine mehr als kühne Idee der Vorsitzenden des Menschenrechtszentrums Cottbus Sylvia Wähling, auf dem
Gelände des Zuchthauses Cottbus, der größten Strafvollzugsanstalt für politische Häftlinge in der DDR, eine
Opernaufführung zu veranstalten, um den Ort und das mit ihm verbundene Projekt bekannt zu machen.
Seit der gestrigen Premiere ist klar, dass die Idee zu einem großartigen Erfolg wurde.
Das Menschrechtszentrum, gegründet 2007 von ehemaligen politischen Gefangenen, machte von Beginn an mit
unkonventionellen Ideen auf sich aufmerksam. Es kaufte die leerstehenden Gebäude und begann mit der Umwandlung
in eine Gedenkstätte.
Eröffnet wurde die Dauerausstellung im Dezember 2012 mit einem Konzert von Wolf Biermann in der ehemaligen
Pentacon- Halle, in der die Häftlinge für den Kamerahersteller Zwangsarbeit leisten mussten.
Nun folgte diesem spektakulären Anfang ein neuer Höhepunkt.
Wähling, ein bekennender Verdi- Fan hatte an die Aufführung von Nabucco gedacht. Sie ließ sich jedoch vom
Intendanten des Cottbusser Staatstheaters Martin Schüler überzeugen, Beethovens einzige Oper „Fidelio“ zur
Aufführung zu bringen.
Es war eine glückliche Wahl. Für diese Oper, die in einem Gefängnis spielt, in dem unschuldige politische Gefangene
schmachteten, war der Zellenbau die ideale Kulisse.
Die Bühne vor der Backsteinmauer mit ihren vergitterten Fenstern war so reduziert, dass sie den Blick auf große Teile
des Gefängnisareals frei ließ. Immer wieder wurde das Geschehen dort von Hintergrundhandlungen auf dem Gelände
untermalt. Da kam ein Gefangenentransporter an und spie seine traurige Menschenfracht aus, da exerzierten
Bewaffnete in blauen Schließeruniformen, da unterbrach die Gefängnissirene immer wieder das musikalische
Geschehen. Waren noch etliche Besucher beim Betreten der Spielstätte befremdet gewesen, ein Spalier von
bewaffneten Wärtern passieren zu müssen, überzeugte ihr Einsatz sich während des Spiels. Fidelio , Rocco der
Aufseher und sein Gehilfe Jaquino tragen die selben Uniformen wie die Statisten auf dem Hof. Mit dieser Reminiszenz
an den DDR-Alltag vermischte sich das fiktive mit dem historischen Geschehen dieses Ortes.
Da empfand man es nicht als unpassend, sondern stimmig, wenn die Backsteinwand des Zellenbaus in immer wieder
anderes Licht getaucht wurde.
Es begann mit einem dezenten Orange als die ersten Töne der Ouvertüre erklangen, wechselte in ein zartes Rot, als
Jaquino zum wieder einmal um die Gunst Marcellinas warb und wechselte zu Violett als Fidelio, eigentlich Leonore, in
ihrer ersten großen Arie über ihr Schicksal und das ihres Mannes Florestan nachdachte.
Das diese Oper nicht nur die Freiheit, sondern auch die Liebe zum Thema hatte, trug zur magischen Verwandlung des
Ortes ehemaliger Leiden in einen der Hoffnung bei.
Kann man Kunst genießen, wo früher selbst das Singen leiser Weihnachtslieder verboten war? Der Fidelio-Abend hat
gezeigt, dass man es nicht nur kann, sondern dass Kunst hilft, schlimme Erfahrungen zu überwinden, sich innerlich zu
befreien.
Als gegen Ende des ersten Aufzugs Fidelio den Wärter Rocco überredet, allen Gefangenen einen Hofgang zu erlauben
und die dann auf die Bühne strömen, ist einem anfangs beklommen zumute beim Anblick der Elendsgestalten.
Wenn die Gefangenen dann aber ihre Erstarrung abschütteln und zu singen beginnen: „Oh, welche Lust in freier Luft zu
atmen“, überwindet der Gesang mehr als nur die Mauern. Er befreit die Seelen und nimmt die Freiheit voraus, die einesTages kommen muss.
Im Chor wirkten ehemalige Insassen des Zuchthauses mit. Einige hatten extra dafür Gesangsunterricht genommen, um
sich neben den professionellen Sängern behaupten zu können. Auch dieses gewagte Experiment glückte. Die
phantastische Akustik tat ein Übriges. Nicht nur ehemaligen Gefangenen kamen Tränen in die Augen, auch
Journalisten, die so leicht in nichts umwirft, weil sie schon alles gesehen zu haben meinen, passierte das.
Die Dramatik des Ortes steigerte sich im zweiten Aufzug. Florestan liegt auf der nackten Boden, gefesselt an die
Stahlträger der Bühnenkonstruktion und von der Feuertreppe des Zellenbaus steigen Rocco und Fidelio vier Stockwerke
in die Tiefe des Verlieses.
Was sich dann abspielt, ist ein Duell der beiden schönsten Stimmen des Abends: Miriam Gordon-Steward als Fidelio/
Leonore und Andreas Jäpel als Gefängnisdirektor Pizzaro, der gekommen war, weil er Florestan eigenhändig töten will.
Und dann das Finale: In dem Moment, wo Rocco Leonore die Schlüssel übergibt, damit sie die Fesseln von Florestan
öffnen kann, setzt ein leichter Regen ein. Das Orchester muss fluchtartig seine teuren Instrumente in Sicherheit bringen.
Nach 5 Minuten kann es weiter gehen und der große Schlusschor gerät zum Triumphmarsch.
Ein nicht eingeplanter schöner Nebeneffekt waren die weißen Kleider der Chorfrauen, die zum Schluss die Bühne
stürmten. Zu Beginn der Vorstellung hatte Sylvia Wähling zwei Vertreterinnen der Damen in Weiß aus Cuba vorgestellt,
die jeden Sonntag in mehreren Städten für die Freilassung ihrer inhaftierten Männer demonstrieren.
Das Kapitel politische Gefangenschaft ist auch heute noch nicht abgeschlossen. Aber es gibt Frauen, wie Leonore, die
für die Freiheit ihrer Männer kämpfen.
„Wer ein holdes Weib errungen“ hat die beste Vorsorge gegen Willkür und Machtmissbrauch getroffen, denn die Liebe
ist stärker als alle Politik. Auch wenn Beethoven am Ende noch einen Minister auftreten lässt, der für Gerechtigkeit
sorgt, ist die eigentliche Botschaft, dass wer sein Schicksal nicht anderen überlässt, sondern selbst in die Hand nimmt,
frei wird.
Dieser Botschaft Nachdruck verliehen zu haben, ist das größte Verdienst der überaus gelungenen Inszenierung von
Martin Schüler. Das und die hervorragende Leistung des Ensembles wurde mit Bravo- Rufen des Publikums und
begeistertem Applaus gebührend gefeiert.
Nächste Vorstellungen: Mi 2.7. I Fr 4.7. I Sa 5.7. I Mi 9.7.I Fr 11.7. I Sa 12.7., immer 21 Uhr
V. Lengsfeld, 28.Juni 2014